Der Heilige Stuhl und das Deutsche Reich

 

SOLLEMNIS CONVENTIO* 

INTER SANCTAM SEDEM ET GERMANICAM REMPUBLICAM

KONKORDAT
ZWISCHEN DEM
HEILIGEN STUHL
UND DEM
DEUTSCHEN REICH

 

Seine Heiligkeit, Papst Pius XI. und der Deutsche Reichspräsident,

von dem gemeinsamen Wunsche geleitet, die zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und zu fördern,

gewillt, das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und dem Staat für den Gesamtbereich des Deutschen Reiches in einer beide Teile befriedigenden Weise dauernd zu regeln,

haben beschlossen, eine feierliche Übereinkunft zu treffen, welche die mit einzelnen deutschen Ländern abgeschlossenen Konkordate ergänzen und auch für die übrigen Länder eine in den Grundsätzen einheitliche Behandlung der einschlägigen Fragen sichern soll.

Zu diesem Zweck haben Seine Heiligkeit Papst Pius XI. zu Ihrem Bevollmächtigten

Seine Eminenz den Hochwürdigsten Herrn Kardinal Eugen Pacelli, Ihren Staatssekretär,

und der Deutsche Reichspräsident zum Bevollmächtigten den Vizekanzler des Deutschen Reiches, Herrn FRANZ VON PAPEN,

ernannt, die, nachdem sich ihre beiderseitigen Vollmachten ausgetauscht und in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Artikel übereingekommen sind:

ARTIKEL 1.

Das Deutsche Reich gewährleistet die Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion.

Es anerkennt das Recht der katholischen Kirche, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen.

ARTIKEL 2.

Die mit Bayern (1924), Preussen (1929) und Baden (1932) abgeschlossenen Konkordate bleiben bestehen und die in ihnen anerkannten Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche innerhalb der betreffenden Staatsgebiete unverändert gewahrt. Für die übrigen Länder greifen die in dem vorliegenden Konkordat getroffenen Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit Platz. Letztere sind auch für die oben genannten drei Länder verpflichtend, soweit sie Gegenstände betreffen, die in den Länderkonkordaten nicht geregelt wurden oder soweit sie die früher getroffene Regelung ergänzen.

In Zukunft wird der Abschluss von Länderkonkordaten nur im Einvernehmen mit der Reichsregierung erfolgen.

ARTIKEL 3.

Um die guten Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich zu pflegen, wird wie bisher ein Apostolischer Nuntius in der Hauptstadt des Deutschen Reiches und ein Botschafter des Deutschen Reiches beim Heiligen Stuhl residieren.

ARTIKEL 4.

Der Heilige Stuhl geniesst in seinem Verkehr und seiner Korrespondenz mit den Bischöfen, dem Klerus und den übrigen Angehörigen der katholischen Kirche in Deutschland volle Freiheit. Dasselbe gilt für die Bischöfe und sonstigen Diözesanbehörden für ihren Verkehr mit den Gläubigen in allen Angelegenheiten ihres Hirtenamtes.

Anweisungen, Verordnungen, Hirtenbriefe, amtliche Diözesanblätter und sonstige die geistliche Leitung der Gläubigen betreffende Verfügungen, die von den kirchlichen Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit (Art. 1 Abs. 2) erlassen werden, können ungehindert veröffentlicht und in den bisher üblichen Formen zur Kenntnis der Gläubigen gebracht werden.

ARTIKEL 5.

In Ausübung ihrer geistlichen Tätigkeit geniessen die Geistlichen in gleicher Weise wie die Staatsbeamten den Schutz des Staates. Letzterer wird gegen Beleidigungen ihrer Person oder ihrer Eigenschaft als Geistliche, sowie gegen Störungen ihrer Amtshandlungen nach Massgabe der allgemeinen staatlichen Gesetzgebung vorgehen und im Bedarfsfall behördlichen Schutz gewähren.

ARTIKEL 6.

Kleriker und Ordensleute sind frei von der Verpflichtung zur Übernahme öffentlicher Ämter und solcher Obliegenheiten, die nach den Vorschriften des kanonischen Rechtes mit dem geistlichen Stande bezw. dem Ordensstande nicht vereinbar sind. Dies gilt insbesondere von dem Amt eines Schöffen, eines Geschworenen, eines Mitglieds der Steuerausschüsse oder der Finanzgerichte.

ARTIKEL 7.

Zur Annahme einer Anstellung oder eines Amtes im Staat oder bei einer von ihm abhängigen Körperschaft des öffentlichen Rechtes bedürfen Geistliche des Nihil obstat ihres Diözesanordinarius sowie des Ordinarius des Sitzes der öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Das Nihil obstat ist jederzeit aus wichtigen Gründen kirchlichen Interesses widerrufbar.

ARTIKEL 8.

Das Amtseinkommen der Geistlichen ist in gleichem Masse von der Zwangsvollstreckung befreit wie die Amtsbezüge der Reichs- und Staatsbeamten.

ARTIKEL 9.

Geistliche können von Gerichtsbehörden und anderen Behörden nicht um Auskünfte über Tatsachen angehalten werden, die ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut worden sind und deshalb unter die Pflicht der seelsorgerlichen Verschwiegenheit fallen.

ARTIKEL 10.

Der Gebrauch geistlicher Kleidung oder des Ordensgewandes durch Laien, oder durch Geistliche oder Ordenspersonen, denen dieser Gebrauch durch die zuständige Kirchenbehörde durch endgültige, der Staatsbehörde amtlich bekanntgegebene Anordnung rechtskräftig verboten worden ist, unterliegt staatlicherseits den gleichen Strafen wie der Missbrauch der militärischen Uniform.

ARTIKEL 11.

Die gegenwärtige Diözesanorganisation und -zirkumskription der katholischen Kirche im Deutschen Reich bleibt bestehen. Eine in Zukunft etwa erforderlich erscheinende Neueinrichtung eines Bistums oder einer Kirchenprovinz oder sonstige Änderungen der Diözesanzirkumskription bleiben, soweit es sich um Neubildungen innerhalb der Grenzen eines deutschen Landes handelt, der Vereinbarung mit der zuständigen Landesregierung vorbehalten. Bei Neubildungen oder Änderungen, die über die Grenzen eines deutschen Landes hinausgreifen, erfolgt die Verständigung mit der Reichsregierung, der es überlassen bleibt, die Zustimmung der in Frage kommenden Länderregierungen herbeizuführen. Dasselbe gilt entsprechend für die Neuerrichtung oder Änderung von Kirchenprovinzen, falls mehrere deutsche Länder daran beteiligt sind. Auf kirchliche Grenzverlegungen, die lediglich im Interesse der örtlichen Seelsorge erfolgen, finden die vorstehenden Bedingungen keine Anwendung.

Bei etwaigen Neugliederungen innerhalb des Deutschen Reiches wird sich die Reichsregierung zwecks Neuordnung der Diözesanorganisation und -zirkumskription mit dem Heiligen Stuhl in Verbindung setzen.

ARTIKEL 12.

Unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 11 können kirchliche Ämter frei errichtet und umgewandelt werden, falls Aufwendungen aus Staatsmitteln nicht beansprucht werden. Die staatliche Mitwirkung bei der Bildung und Veränderung von Kirchengemeinden erfolgt nach Richtlinien, die mit den Diözesanbischöfen vereinbart werden und für deren möglichst einheitliche Gestaltung die Reichsregierung bei den Länderregierungen wirken wird.

ARTIKEL 13.

Die katholischen Kirchengemeinden, Kirchengemeindeverbände und Diözesanverbände, die Bischöflichen Stühle, Bistümer und Kapitel, die Orden und religiösen Genossenschaften, sowie die unter Verwaltung kirchlicher Organe gestellten Anstalten, Stiftungen und Vermögensstücke der katholischen Kirche behalten bzw. erlangen die Rechtsfähigkeit für den staatlichen Bereich nach den allgemeinen Vorschriften des staatlichen Rechts. Sie bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren; den anderen können die gleichen Rechte nach Massgabe des für alle geltenden Gesetzes gewährt werden.

ARTIKEL 14.

Die Kirche hat grundsätzlich das freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinden, soweit nicht durch die in Artikel 2 genannten Konkordate andere Vereinbarungen getroffen sind. Bezüglich der Besetzung von Bischöflichen Stühlen findet auf die beiden Suffraganbistümer Rottenburg und Mainz, wie auch für das Bistum Meissen die für den Metropolitansitz der Oberrheinischen Kirchenprovinz Freiburg getroffene Regelung entsprechende Anwendung. Das Gleiche gilt für die erstgenannten zwei Suffraganbistümer bezüglich der Besetzung von domkapitularischen Stellen und der Regelung des Patronatsrechtes. Ausserdem besteht Einvernehmen über folgende Punkte:

1.) Katholische Geistliche, die in Deutschland ein geistliches Amt bekleiden oder eine seelsorgerliche oder Lehrtätigkeit ausüben, müssen:

a) deutsche Staatsangehörige sein,

b) ein zum Studium an einer deutschen höheren Lehranstalt berechtigendes Reifezeugnis erworben haben,

c) auf einer deutschen staatlichen Hochschule, einer deutschen kirchlichen akademischen Lehranstalt oder einer päpstlichen Hochschule in Rom ein wenigstens dreijähriges philosophisch-theologisches Studium abgelegt haben.

2.) Die Bulle für die Ernennung von Erzbischöfen, Bischöfen, eines Coadjutors cum iure Ruccessionis oder eines Praelatus nullius wird erst ausgestellt, nachdem der Name des dazu Ausersehenen dem Reichsstatthalter in dem zuständigen Lande mitgeteilt und festgestellt ist, dass gegen ihn Bedenken allgemein politischer Natur nicht bestehen. Bei kirchlichem und staatlichem Einverständnis kann von den in Absatz 2, Ziffer 1) a, b und c genannten Erfordernissen abgesehen werden.

ARTIKEL 15.

Orden und religiöse Genossenschaften unterliegen in Bezug auf ihre Gründung, Niederlassung, die Zahl und – vorbehaltlich Artikel 15 Absatz 2 – die Eigenschaften ihrer Mitglieder, ihre Tätigkeit in der Seelsorge, im Unterricht, in Krankenpflege und karitativer Arbeit, in der Ordnung ihrer Angelegenheiten und der Verwaltung ihres Vermögens staatlicherseits keiner besonderen Beschränkung.

Geistliche Ordensobere, die innerhalb des Deutschen Reiches ihren Amtssitz haben, müssen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Provinz- und Ordensoberen, deren Amtssitz ausserhalb des deutschen Reichsgebietes liegt, steht, auch wenn sie anderer Staatsangehörigkeit sind, das Visitationsrecht bezüglich ihrer in Deutschland liegenden Niederlassungen zu.

Der Heilige Stuhl wird dafür Sorge tragen, dass für die innerhalb des Deutschen Reiches bestehenden Ordensniederlassungen die Provinzorganisation so eingerichtet wird, dass die Unterstellung deutscher Niederlassungen unter ausländische Provinzialobere tunlichst entfällt. Ausnahmen hiervon können im Einvernehmen mit der Reichsregierung zugelassen werden, insbesondere in solchen Fällen, wo die geringe Zahl der Niederlassungen die Bildung einer deutschen Provinz untunlich macht oder wo besondere Gründe vorliegen, eine geschichtlich gewordene und sachlich bewährte Provinzorganisation bestehen zu lassen.

ARTIKEL 16.

Bevor die Bischofe von ihrer Diözese Besitz ergreifen, leisten sie in die Hand des Reichsstatthalters in dem zuständigen Lande bzw. des Reichspräsidenten einen Treueid nach folgender Formel:

«Vor Gott und auf die heiligen Evangelien schwöre und verspreche ich, so wie es einem Bischof geziemt, dem Deutschen Reich und dem Lande Treue. Ich schwöre und verspreche, die verfassungsmässig gebildete Regierung zu achten und von meinem Klerus achten zu lassen. In der pflichtmässigen Sorge um das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens werde ich in Ausübung des mir übertragenen geistlichen Amtes jeden Schaden zu verhüten trachten, der es bedrohen könnte.»

ARTIKEL 17.

Das Eigentum und andere Rechte der öffentlichrechtlichen Körperschaften, der Anstalten, Stiftungen und Verbände der katholischen Kirche an ihrem Vermögen werden nach Massgabe der allgemeinen Staatsgesetze gewährleistet.

Aus keinem irgendwie gearteten Grunde darf ein Abbruch von gottesdienstlichen Gebäuden erfolgen, es sei denn nach vorherigem Einvernehmen mit der zuständigen kirchlichen Behörde.

ARTIKEL 18.

Falls die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die katholische Kirche abgelöst werden sollten, wird von der Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustellenden Grundsätze rechtzeitig zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich ein freundschaftliches Einvernehmen herbeigeführt werden.

Zu den besonderen Rechtstiteln zählt auch das rechtsbegründete Herkommen.

Die Ablösung muss den Ablösungsberechtigten einen angemessenen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren.

ARTIKEL 19.

Dia. katholisch-theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen bleiben erhalten. Ihr Verhältnis zur kirchlichen Behörde richtet sich nach den in den einschlägigen Konkordaten und dazu gehörenden Schlussprotokollen festgelegten Bestimmungen unter Beachtung der einschlägigen kirchlichen Vorschriften. Die Reichsregierung wird sich angelegen sein lassen, für sämtliche in Frage kommenden katholischen Fakultäten Deutschlands eine der Gesamtheit der einschlägigen Bestimmungen entsprechende einheitliche Praxis zu sichern.

ARTIKEL 20.

Die Kirche hat das Recht, soweit nicht andere Vereinbarungen vorliegen, zur Ausbildung des Klerus philosophische und theologische Lehranstalten zu errichten, die ausschliesslich von der kirchlichen Behörde abhängen, falls keine staatlichen Zuschüsse verlangt werden.

Die Errichtung, Leitung und Verwaltung der Priesterseminare sowie der kirchlichen Konvikte steht, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes, ausschliesslich den kirchlichen Behörden zu.

ARTIKEL 21.

Der katholische Religionsunterricht in den Volksschulen, Berufsschulen, Mittelschulen und höheren Lehranstalten ist ordentliches Lehrfach und wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der katholischen Kirche erteilt. Im Religionsunterricht wird die Erziehung zu vaterländischem, staatsbürgerlichem und sozialem Pflichtbewusstsein aus dem Geiste des christlichen Glaubens- und Sittengesetzes mit besonderem Nachdruck gepflegt werden, ebenso wie es im gesamten übrigen Unterricht geschieht.

Lehrstoff und Auswahl der Lehrbücher für den Religionsunterricht werden im Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde festgesetzt. Den kirchlichen Oberbehörden wird Gelegenheit gegeben werden, im Einvernehmen mit der Schulbehörde zu prüfen, ob die Schüler Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Lehren und Anforderungen der Kirche erhalten.

ARTIKEL 22.

Bei der Anstellung von katholischen Religionslehrern findet Verständigung zwischen dem Bischof und der Landesregierung statt.

Lehrer, die wegen ihrer Lehre oder sittlichen Führung vom Bischof zur weiteren Erteilung des Religionsunterrichtes für ungeeignet erklärt worden sind, dürfen, solange dies Hindernis besteht, nicht als Religionslehrer verwendet werden.

ARTIKEL 23.

Die Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen bleibt gewährleistet. In allen Gemeinden, in denen Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte es beantragen, werden katholische Volksschulen errichtet werden, wenn die Zahl der Schüler unter gebührender Berücksichtigung der örtlichen schulorganisatorischen Verhältnisse einen nach Massgabe der staatlichen Vorschriften geordneten Schulbetrieb durchführbar erscheinen lasst.

ARTIKEL 24.

An allen katholischen Volksschulen werden nur solche Lehrer angestellt, die der katholischen Kirche angehören und Gewähr bieten, den besonderen Erfordernissen der katholischen Bekenntnisschule zu entsprechen.

Im Rahmen der allgemeinen Berufsausbildung der Lehrer werden Einrichtungen geschaffen, die eine Ausbildung katholischer Lehrer entsprechend den besonderen Erfordernissen der katholischen Bekenntnisschule gewährleisten.

ARTIKEL 25.

Orden und religiöse Kongregationen sind im Rahmen der allgemeinen Gesetze und gesetzlichen Bedingungen zur Gründung und Führung von Privatschulen berechtigt. Diese Privatschulen geben die gleichen Berechtigungen wie die staatlichen Schulen, soweit sie die lehrplanmässigen Vorschriften für letztere erfüllen.

Für Angehörige von Orden oder religiösen Genossenschaften gelten hinsichtlich der Zulassung zum Lehramte und für die Anstellung an Volksschulen, mittleren oder höheren Lehranstalten die allgemeinen Bedingungen.

ARTIKEL 26.

Unter Vorbehalt einer umfassenderen späteren Regelung der eherechtlichen Fragen besteht Einverständnis darüber, dass, ausser im Falle einer lebensgefährlichen, einen Aufschub nicht gestattenden Erkrankung eines Verlobten, auch im Falle schweren sittlichen Notstandes, dessen Vorhandensein durch die zuständige bischöfliche Behörde bestätigt sein muss, die kirchliche Einsegnung der Ehe vor der Ziviltrauung vorgenommen werden darf. Der Pfarrer ist in solchen Fallen verpflichtet, dem Standesamt unverzüglich Anzeige zu erstatten.

ARTIKEL 27.

Der Deutschen Reichswehr wird für die zu ihr gehörenden katholischen Offiziere, Beamten und Mannschaften, sowie deren Familien, eine exemte Seelsorge zugestanden. Die Leitung der Militärseelsorge obliegt dem Armeebischof.

Seine kirchliche Ernennung erfolgt durch den Heiligen Stuhl, nachdem letzterer sich mit der Reichsregierung in Verbindung gesetzt hat, um im Einvernehmen mit ihr eine geeignete Persönlichkeit zu bestimmen.

Die kirchliche Ernennung der Militärpfarrer und sonstigen Militärgeistlichen erfolgt nach vorgängigem Benehmen mit der zuständigen Reichsbehörde durch den Armeebischof. Letzterer kann nur solche Geistliche ernennen, die von ihrem zuständigen Diözesanbischof die Erlaubnis zum Eintritt in die Militärseelsorge und ein entsprechendes Eignungszeugnis erhalten haben.

Die Militärgeistlichen haben für die ihnen zugewiesenen Truppen und Heeresangehörigen Pfarrechte.

Die näheren Bestimmungen über die Organisation der katholische Heeresseelsorge erfolgen durch ein Apostolisches Breve. Die Regelung der beamtenrechtlichen Verhältnisse erfolgt durch die Reichsregierung.

ARTIKEL 28.

In Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen Häusern der öffentlichen Hand wird die Kirche im Rahmen der allgemeinen Hausordnung zur Vornahme seelsorgerlicher Besuche und gottesdienstlicher Handlungen zugelassen. Wird in solchen Anstalten eine regelmässige Seelsorge eingerichtet und müssen hierfür Geistliche als Staats- oder sonstige öffentliche Beamte eingestellt werden, so geschieht dies im Einvernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde.

ARTIKEL 29.

Die innerhalb des Deutschen Reiches wohnhaften katholischen Angehörigen einer nichtdeutschen völkischen Minderheit werden bezüglich der Berücksichtigung ihrer Muttersprache in Gottesdienst, Religionsunterricht und kirchlichem Vereinswesen nicht weniger günstig gestellt werden, als der rechtlichen und tatsächlichen Lage der Angehörigen deutscher Abstammung und Sprache innerhalb des Gebietes des entsprechenden fremden Staates entspricht.

ARTIKEL 30.

An den Sonntagen und den gebotenen Feiertagen wird in den Bischofskirchen, sowie in den Pfarr-, Filial- und Klosterkirchen des Deutschen Reiches im Anschluss an den Hauptgottesdienst, entsprechend den Vorschriften der kirchlichen Liturgie, ein Gebet für das Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes eingelegt.

ARTIKEL 31.

Diejenigen katholischen Organisationen und Verbände, die ausschliesslich religiösen, rein kulturellen und karitativen Zwecken dienen und als solche den kirchlichen Behörden unterstellt sind, werden in ihren Einrichtungen und in ihrer Tätigkeit geschützt.

Diejenigen katholischen Organisationen, die ausser religiösen, kulturellen oder karitativen Zwecken auch anderen, darunter auch sozialen oder berufsständischen Aufgaben dienen, sollen, unbeschadet einer etwaigen Einordnung in staatliche Verbände, den Schutz des Artikels 31 Absatz 1 geniessen, sofern sie Gewähr dafür bieten, ihre Tätigkeit ausserhalb jeder politischen Partei zu entfalten.

Die Feststellung der Organisationen und Verbände, die unter die Bestimmungen dieses Artikels fallen, bleibt vereinbarlicher Abmachung zwischen der Reichsregierung und dem deutschen Episkopat vorbehalten.

Insoweit das Reich und die Länder sportliche oder andere Jugendorganisationen betreuen, wird Sorge getragen werden, dass deren Mitgliedern die Ausübung ihrer kirchlichen Verpflichtungen an Sonn- und Feiertagen regelmässig ermöglicht wird und sie zu nichts veranlasst werden, was mit ihren religiösen und sittlichen Überzeugungen und Pflichten nicht vereinbar wäre.

ARTIKEL 32.

Auf Grund des in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse, wie im Hinblick auf die durch die Bestimmungen des vorstehenden Konkordats geschaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche im Reich und seinen Ländern wahrenden Gesetzgebung erlässt der Heilige Stuhl Bestimmungen, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschliessen.

ARTIKEL 33.

Die auf kirchliche Personen oder kirchliche Dinge bezüglichen Materien, die in den vorstehenden Artikeln nicht behandelt wurden, werden für den kirchlichen Bereich dem geltenden kanonischen Recht gemäss geregelt.

Sollte sich in Zukunft wegen der Auslegung oder Anwendung einer Bestimmung dieses Konkordates irgendeine Meinungsverschiedenheit ergeben, so werden der Heilige Stuhl und das Deutsche Reich im gemeinsamen Einvernehmen eine freundschaftliche Lösung herbeiführen.

ARTIKEL 34.

Das vorliegende Konkordat, dessen deutscher und italienischer Tex:t gleiche Kraft haben, soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden baldigst ausgetauscht werden. Es tritt mit dem Tag ihres Austausches in Kraft. Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Konkordat unterzeichnet.

Geschehen in doppelter Urschrift.

In der Vatikanstadt, am 20. Juli 1933.

EUGENIO KARDINAL PACELLI
FRANZ VON PAPEN

Schlussprotokoll.

Bei der Unterzeichnung des am heutigen Tage abgeschlossenen Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich haben die ordnungsmässig bevollmächtigten Unterzeichneten folgende übereinstimmende Erklärungen abgegeben, die einen integrierenden Bestandteil des Konkordats selbst bilden.

Zu Artikel 3.

Der Apostolische Nuntius beim Deutschen Reich ist, entsprechend dem Notenwechsel zwischen der Apostolischen Nuntiatur in Berlin und dem Auswärtigen Amt vom 11. und 27. März 1930, Doyen des dort akkreditierten Diplomatischen Korps.

Zu Artikel 13.

Es besteht Einverständnis darüber, dass das Recht der Kirche, Steuern zu erheben, gewährleistet bleibt.

Zu Artikel 11, Absatz 2 Ziff. 2

Es besteht Einverständnis darüber, dass, sofern Bedenken allgemein politischer Natur bestehen, solche in kürzester Frist vorgebracht werden. Liegt nach Ablauf von 20 Tagen eine derartige Erklärung nicht vor, so wird der Heilige Stuhl berechtigt sein, anzunehmen, dass Bedenken gegen den Kandidaten nicht bestehen. Über die in Frage stehenden Persönlichkeiten wird bis zur Veröffentlichung der Ernennung volle Vertraulichkeit gewahrt werden. Ein staatliches Vetorecht soll nicht begründet werden.

Zu Artikel 17.

Soweit staatliche Gebäude oder Grundstücke Zwecken der Kirche gewidmet sind, bleiben sie diesen, unter Wahrung etwa bestehender Verträge, nach wie vor überlassen.

Zu Artikel 19 Satz 2.

Die Grundlage bietet zur Zeit des Konkordatsabschlusses besonders die Apostolische Konstitution «Deus scientiarum Dominus» vom 24. Mai 1931 und die Instruktion vom 7. Juli 1932.

Zu Artikel 20.

Die unter Leitung der Kirche stehenden Konvikte an Hochschulen und Gymnasien werden in steuerrechtlicher Hinsicht als wesentliche kirchliche Institutionen im eigentlichen Sinne und als Bestandteil der Diözesanorganisation anerkannt.

Zu Artikel 24.

Soweit nach Neuordnung des Lehrerbildungswesens Privatanstalten in der Lage sind, den allgemein geltenden staatlichen Anforderungen für Ausbildung von Lehrern oder Lehrerinnen zu entsprechen, werden bei ihrer Zulassung auch bestehende Anstalten der Orden und Kongregationen entsprechend berücksichtigt werden.

Zu Artikel 26.

Ein schwerer sittlicher Notstand liegt vor, wenn es auf unüberwindliche oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand zu beseitigende Schwierigkeiten stösst, die zur Eheschliessung erforderlichen Urkunden rechtzeitig beizubringen.

Zu Artikel 27 Absatz 1.

Die katholischen Offiziere, Beamten und Mannschaften, sowie deren Familien gehören nicht den Ortskirchengemeinden an und tragen nicht zu deren Lasten bei.

Absatz 4.

Der Erlass des Apostolischen Breve erfolgt im Benehmen mit der Reichsregierung.

Zu Artikel 28.

In dringenden Fällen ist der Zutritt dem Geistlichen jederzeit zu gewähren.

Zu Artikel 29.

Nachdem die Deutsche Reichsregierung sich zu dem Entgegenkommen in Bezug auf nichtdeutsche Minderheiten bereitgefunden hat, erkärt der Heilige Stuhl, in Bekräftigung seiner stets vertretenen Grundsätze bezüglich des Rechtes der Muttersprache in der Seelsorge, im Religionsunterricht und im katholischen Vereinsleben, bei künftigen konkordatären Abmachungen mit anderen Ländern auf die Aufnahme einer gleichwertigen, die Rechte der deutschen Minderheiten schützenden Bestimmung Bedacht nehmen zu wollen.

Zu Artikel 31 Absatz 4.

Die in Artikel 31 Absatz 4 niedergelegten Grundsätze gelten auch für den Arbeitsdienst.

Zu Artikel 32.

Es herrscht Einverständnis darüber, dass vom Reich bezüglich der nicht katholischen Konfessionen gleiche Regelungen betreffend parteipolitische Betätigung veranlasst werden. Das den Geistlichen und Ordensleuten Deutschlands in Ausführung des Artikels 32 zur Pflicht gemachte Verhalten bedeutet keinerlei Einengung der pflichtmässigen Verkündung und Erläuterung der dogmatischen und sittlichen Lehren und Grundsätze der Kirche.

In der Vatikanstadt, am 20. Juli 1933.

EUGENIO KARDINAL PACELLI
FRANZ VON PAPEN

Conventione inter Apostolicam Sedem et Rem Germanorum publicam rata habita, die 10 Septembris 1933 in Palatio Apostolico Vaticano Ratihabitionis Instrumenta accepta et reddita mutuo tuerunt. Exinde, i. e. a die 10 Septembris 1933, quo die huiusmodi Instrumenta permutata tuerunt, Conventio inter Ss.mum Dominum Nostrum Pium PP. XI et Supremum Reipublicae Germanicae Praesidem (Deutsche Reichspraesident) icta una simul cum Protocollo finali, vigere et valere coepit ad normam art. 34 comm. 1 eiusdem Pactionis.


*A.A.S., Bd. XXV (1933), Nr.14, S. 390-413

 

Quelle:

http://www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/archivio/documents/rc_seg-st_19330720_santa-sede-germania_ge.html

 

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